Basistext Mitgefühl und Weisheit

Buddha zeigte einen Weg zu dauerhaftem Glück. Er gab Lehren über die Art und Weise, wie man die Welt erfährt (Sichtweise), Meditation und das Verhalten im Alltag. Die Vervollkommnung von Mitgefühl und Weisheit ist ein wesentlicher Bestandteil seiner Lehre.

Versteht man, dass alle Lebewesen Glück erleben möchten und erkennt gleichzeitig, dass das eigene Glück nicht von dem der anderen getrennt ist, entwickelt man den Wunsch fähig zu sein anderen zu nutzen. Überpersönliches Mitgefühl und Weisheit schließen kein Lebewesen aus und sind unabhängig davon, ob man jemanden mag oder nicht.

Der Erleuchtungsgeist (sanskr.: Bodhicitta), die Einstellung sich mit Mitgefühl und Weisheit zum Besten aller zu entwickeln und Erleuchtung zu erlangen, ist die Grundlage im Großen Weg (Mahayana) und im Diamantweg (Vajrayana).

Buddhisten unterscheiden Liebe und Mitgefühl: Liebe ist der tiefe Wunsch, dass alle Wesen glücklich sein mögen; Mitgefühl bedeutet zu wünschen, dass kein Wesen jemals leidet.

Praktizierende des Großen Weges und des Diamantweges werden Bodhisattvas genannt, was übersetzt „Erleuchtungsmutige“ bedeutet. Mutig sind sie deshalb, weil ein Bodhisattva unerschrocken ist und immer unterstützend wirkt, egal ob widrige Umstände oder Hindernisse auftauchen. An das Wohlergehen anderer zu denken, ist in jeder seiner Handlungen inbegriffen. Die aktive Umsetzung dieser Bodhisattva- Einstellung geschieht durch die „Sechs Befreienden Handlungen“ (sanskr.: Paramitas). Diese sind Großzügigkeit, umsichtiges Handeln, Geduld, freudvolle Tat, Meditation und die daraus resultierende Weisheit. Buddhistische Meditation ist eine Methode um innewohnende Qualitäten wie Furchtlosigkeit, Freude und Liebe hervortreten zu lassen. Entwickelt man zunehmend überpersönliches Mitgefühl und Weisheit, wird man immer unabhängiger von äußeren Bedingungen, während sich die natürliche Neigung, etwas Sinnvolles für andere zu tun, verstärkt. Vollkommene Liebe und vollkommenes, tatkräftiges Mitgefühl sind ein Ausdruck der Erleuchtung.

Die „Vier Unermesslichen“ Wünsche drücken diese Bodhisattva-Einstellung aus:

Mögen alle Wesen Glück und die Ursache des Glücks haben (= Liebe).

Mögen sie frei von Leiden und der Ursache des Leidens sein (= Mitgefühl).

Mögen sie vom wahren Glück, welches ohne Leid ist, ungetrennt sein (=Mitfreude).

Mögen sie in großem Gleichmut verweilen, frei von Anhaftung und Abneigung =(Gleichmut).

Gemäß diesen Wünschen handelt man zum Besten aller in jeder Lebenslage so gut es möglich ist. Mitgefühl reicht eine helfende Hand, lässt sich aber nicht in die Schwierigkeiten verwickeln. Aus einer Lage der Kraft, des Überschusses und der Einsicht heraus kann man anderen sinnvoll und langfristig helfen. Mitgefühl und Weisheit arbeiten zusammen, denn wer nur mitfühlend und ohne Weisheit handelt, macht Fehler. Weise Menschen handeln so, dass sich alle gut entwickeln können. Man sieht das Potenzial der anderen und stärkt deren Fähigkeiten. So ist Mitgefühl bei jeder Entscheidung inbegriffen.

Weisheit bedeutet zu sehen, wie die Dinge sind und nicht, wie sie vordergründig erscheinen. Man erlebt ununterbrochen, dass der Handelnde, die Tat an sich und das Objekt der Tat ungetrennt miteinander verbunden sind – sonst würde eine (mitfühlende) Handlung niemals ihr Ziel erreichen. Mit Weisheit erkennt man, was wirklich ist und kann eine Lage intuitiv richtig erfassen. Weisheit ist die Fähigkeit, die Dinge vollkommen klar voneinander zu unterscheiden, d.h. ungehindert von einschränkenden Vorstellungen und Vorurteilen überpersönlich zu erkennen und zu wissen. Unter dieser Voraussetzung ist man fähig, sinnvoll zum Besten aller handeln zu können. Schließlich werden Weisheit und Mitgefühl so natürlich, dass jede Tat spontan und ohne die Vorstellung „Ich tue etwas mit dir oder für dich“ entsteht und zum Wohle anderer Wesen beiträgt.

Weisheit hat viele Gesichter: Es gibt eine praktische Weisheit, nämlich zu erkennen, was zu Glück führt und was Leid bringt; dementsprechend handelt man. Dadurch entsteht mehr Raum, und der Blick für andere wird zunehmend frei. Je weniger eigene Interessen stören, desto mehr fühlt man sich mit anderen verbunden und kann für sie da sein.

Unerschütterlichkeit entsteht durch das Verständnis der Vergänglichkeit aller Erscheinungen, wenn man begreift, dass auftretende Schwierigkeiten nicht von Dauer, letztendlich nicht einmal wirklich sind.

Durch die sich entfaltende intuitive Weisheit, gepaart mit aktivem Mitgefühl, öffnet ein Bodhisattva jedem Wesen den Zugang zu seinen innewohnenden Qualitäten - jeder wird dadurch ein erlebbares Beispiel für ein sinnvolles Dasein.