Das Rad des Lebens

Solange man den Geist nicht erkannt hat, wird man immer wiedergeboren. Die Art der Wiedergeburt hängt davon ab, welches störende Gefühl im Leben vorherrschend war.
 

Zwei wichtige Begriffe im Buddhismus sind Samsara und Nirwana. Samsara bezeichnet den nicht befreiten Zustand – einen Zustand, in dem wir immer wieder leiden; Nirwana den befreiten – frei von jeglichem Leid (alles, was Leid hervorruft, ist „verloschen“). Man könnte meinen, dass es sich dabei um verschiedene Orte oder Welten handelt, unterschiedlich ist tatsächlich aber nur das Erleben verschiedener Geisteszustände. Ort und Zeit können durchaus gleich sein.

Nicht erleuchtet zu sein, bedeutet, zwischen einem Ich, einem Du und der daraus resultierenden Tat zu trennen. In diesem Zustand der Dualität befinden wir uns seit anfangsloser Zeit. Ursache für diese Art der Wahrnehmung ist die grundlegende Unwissenheit des Geistes: Der Geist funktioniert wie ein Auge, das zwar nach außen, nicht aber sich selbst sehen kann. Aus der Unwissenheit heraus entsteht die Trennung zwischen ich und du, außen und innen, hier und dort. Als Folge davon will man bestimmte Dinge, die man als von sich getrennt erlebt, haben – es entsteht Anhaftung –, und andere Dinge will man nicht haben – es entsteht Abneigung, im Extremfall Hass. Zu Anhaftung (als extreme Form Geiz) gehört Begierde (als extreme Form Gier), zu Abneigung Eifersucht und aus Unwissenheit entsteht Stolz. Diese fünf Störgefühle veranlassen uns, bestimmte Dinge zu sagen und zu tun. Die Folgen unserer Taten begegnen uns aufgrund des Gesetzes von Ursache und Wirkung (Karma) später wieder, und die Gewohnheiten führen dazu, dass man fortwährend durch die Störgefühle motiviert handelt. Man befindet sich also damit in Samsara, dem Kreislauf der bedingten Existenz, und kommt aus dem begrifflichen Fühlen und Denken nicht heraus. 

Je nach Art des vorherrschenden Störgefühls werden wir nach dem Tod in einem der sechs Daseinsbereiche wiedergeboren:

  1. Stolz führt zu einer Wiedergeburt im Bereich der Götter. Diesen geht es gut. Sie leben sehr lange und haben nur ein Problem: die Vergänglichkeit. Irgendwann ist ihr angenehmer Zustand vorbei, nämlich dann, wenn ihr gutes Karma verbraucht ist.
  2. Eifersucht führt in den Bereich der Halbgötter. Diesen geht es auch relativ gut, aber sie sind immer eifersüchtig auf das, was die Götter haben, und sie versuchen, diesen ihre Reichtümer abzujagen. 
  3. Begierde und Anhaftung führen zur Wiedergeburt als Mensch. Menschen haben ein gemischtes Karma. Sie erleben die Leiden von Geburt, Krankheit, Alter und Tod, haben aber auch je nach Karma Überschuss und Mitgefühl.
  4. Dummheit und Unwissenheit führen zu einer Wiedergeburt als Tier. Tiere fressen andere Tiere oder werden von ihnen gefressen.
  5. Geiz und Gier führen in den Bereich der Hungergeister. Diese Wesen leiden unsäglich. Sie erleben sich mit einem riesigen Bauch und einem winzigen und dünnen Hals, so dass sie immer nur zu wenig essen und trinken können.
  6. Abneigung, Zorn und Hass führen schließlich zu einer Wiedergeburt in Paranoia-Welten bzw. im Bereich der Höllenwesen. Diese Wesen leiden noch stärker. Sie erleben extreme Hitze und Kälte und andere entsprechende Leiden.

Man kann die sechs Daseinsbereiche auch in unserer Menschenwelt finden, den Götterbereich z.B. in den Villen reicher Leute oder den Paranoia-Bereich in psychiatrischen Krankenhäusern. Jedoch sind die Daseinsbereiche nicht nur metaphorisch zu verstehen, sondern manifestieren sich nach dem Tod je nach den vorherrschenden Eindrücken im Geist. Keine der sechs Welten hat eine höhere Wirklichkeit – sie alle sind Projektionen der Wesen, die ein ähnliches Karma erfahren. Auch unsere Menschen- und Tierwelt ist eine Art gemeinsamer Traum, genauso  wirklich bzw. unwirklich wie die Paranoia-Welten oder die Götterbereiche für die jeweils darin verweilenden Wesen.

Der Daseinsbereich der Menschen eignet sich am besten dazu, den buddhistischen Weg zu gehen und erleuchtet zu werden. Dies liegt daran, dass es den Göttern und Halbgöttern zu gut geht, als dass sie etwas ändern wollten, und es den Tieren, Hungergeistern und Höllenwesen zu schlecht geht, als dass sie etwas lernen und sich weiterentwickeln könnten. In Samsara befinden wir uns also im Kreislauf der Existenzen, wie Buddha gesagt hat. Das Rad dreht sich einmal nach oben, dann wieder nach unten. Mal geht es uns besser, mal schlechter. Wir sind in Samsara „gefangen“. Man erlebt diese Zustände als wirklich, obwohl sie nach der buddhistischen Lehre nicht wirklich sind, sondern eher wie Träume. Unser Problem ist, dass wir alles für wahrhaft existent halten und deswegen daran festhalten oder es ablehnen. Der buddhistische Weg zeigt auf, wie man die eigentliche Natur des Geistes erkennt und von Samsara frei wird.