Die drei Wege (Theravada, Grosser Weg, Diamantweg)

Die Lehren Buddhas kann man auf unterschiedliche Weise aufteilen. Dieses Kapitel geht auf die am häufigsten verwendete Einteilung in Theravada (Schule der [Ordens-] Älteren), Großer Weg (Mahayana) und Diamantweg (Vajrayana) ein, da sie sich auf verschiedene Ebenen der Entwicklung bezieht.

Während seiner 45-jährigen Lehrzeit gab Buddha den unterschiedlichsten Menschen Erklärungen und Ratschläge, wie sie ihr Leben nutzen können, um Schwierigkeiten zu beseitigen und dauerhaftes Glück zu erlangen. Da sich seine Aussagen stets auf die gegebene Lage bezogen und die persönlichen Einstellungen, Voraussetzungen und Fähigkeiten seiner Schüler berücksichtigten, entstand daraus eine äußerst vielfältige und umfassende Sammlung buddhistischer Lehren. Obwohl Buddha niemals selbst unterteilte, bildeten sich mehrere Wege oder „Fahrzeuge“ für die geistige Entwicklung heraus, in denen jeweils unterschiedliche Zugänge und Methoden im Vordergrund stehen. Unter den üblichen Einteilungen in zwei, drei oder auch neun Wege bezieht sich die hier dargestellte Dreiteilung in Theravada, Großer Weg und Diamantweg in erster Linie auf die Schwerpunkte, die in der Meditationspraxis gelegt werden. Es handelt sich dabei nie um Gegensätze, sondern um verschiedene Zugänge, die sich gegenseitig ergänzen und aufeinander aufbauen.

Im Theravada liegt der Schwerpunkt der Übung besonders auf sinnvollem äußeren Verhalten und dem Vermeiden leidbringender Situationen, was oftmals mit Mönchs- bzw. Nonnentum verbunden war und teilweise noch ist. Auf lange Sicht entstehen so immer angenehmere Rückkopplungserfahrungen. Unterstützt von beruhigenden Meditationen und verbunden mit der Einsicht, dass die Grundlage aller Schwierigkeiten – das „Ich“ oder „Selbst“ – keine unabhängige Existenz besitzt, wird als Ziel dieses Weges die Befreiung von allem Leid erreicht. Ein Arhat (skt.) oder „Feindbesieger“ ist demnach jemand, der diesen Zustand der Ruhe verwirklicht hat, indem er alle geistigen Tendenzen, die ihn an der Vorstellung eines unabhängigen Ichs festhalten lassen, besiegt hat. 

Für Menschen, die den Großen Weg praktizieren, steht die Entwicklung von Weisheit, tatkräftiger Liebe und Mitgefühl im Vordergrund. Es geht darum, das Leben für andere und sich selbst sinnvoller und reicher zu machen. Häufig von Laien verwendet, betont dieser Weg die zugrunde liegende Motivation für jegliches Verhalten. Die Methoden zielen darauf ab, die eigenen Fähigkeiten zu vervollkommnen, um allen Wesen in der bestmöglichen Weise nutzen zu können. Das letztendliche Ziel dieses Weges ist die Buddhaschaft, in der alle geistigen Eigenschaften zur vollen Reife gebracht sind.

Der Diamantweg zieht besonders Menschen an, die ein grundlegendes Vertrauen in ihre eigene Buddhanatur und die aller Wesen haben. Hier geht es vor allem darum, die Sichtweise zu pflegen, dass jedem Wesen alle erleuchteten Eigenschaften (wie Furchtlosigkeit, Freude, tatkräftiges Mitgefühl) bereits innewohnen und die verschiedenen Arten der Weisheit im Geist vorhanden sind. Man beseitigt alle Schleier, die verhindern, dies zu erfahren. Als Verwirklicher (früher meist mit dem exotischen Begriff „Yogi“ bezeichnet) übt man sich darin, alles auf der möglichst höchsten und reinsten Ebene zu erleben und so den Reichtum, der in jeder Lebenslage enthalten ist, zu erfahren. Letztendlich fallen durch die Identifikation mit der eigenen Buddhanatur alle geistigen Schleier weg, und man erreicht das Ziel – die volle Buddhaschaft oder Erleuchtung.

Bevor der Buddhismus sich in den verschiedensten Teilen der Welt verbreitete, wurde der Diamantweg in seiner vollständigen Form nur in Tibet und seinen angrenzenden Ländern praktiziert, in Teilaspekten aber auch im Chan-Buddhismus in China und im japanischen Zen. Der Große Weg wurde in den nördlichen Ländern des Buddhismus, also in den Himalaya-Ländern mit Tibet, Ladakh, Nepal, Sikkim, Bhutan sowie der Mongolei, China, Japan, Vietnam, Taiwan und Korea geübt. Der Tradition des Theravada (Pali: Weg der Älteren) folgte man hingegen hauptsächlich in den südlichen Ländern des Buddhismus, wie zum Beispiel Sri Lanka, Burma (Myanmar), Thailand, Laos und Kambodscha.