Samsara und Nirvana

Diese beiden gegensätzlichen Begriffe beschreiben die bedingte Welt (Samsara) und das innere Freisein von dieser (Nirwana). Auf verschiedenen Ebenen der Lehre wird Nirwana als Ziel oder Zwischenziel gesehen, während durch die Praxis der höchsten Sicht im Diamantweg die bedingte Welt als „Reines Land“ erfahren wird.

Der Begriff Nirwana wurde von Sprachwissenschaftlern häufig missverständlich als „das große Verlöschen“ übersetzt. Erst im Zusammenhang mit seinem Gegenbegriff Samsara (Kreislauf bedingter und leidvoller Seinszustände) wird seine Bedeutung verständlich.

Im Theravada-Buddhismus wird Nirwana als Zustand völligen Friedens bzw. des Freiseins von Leid erfahren. Nach dieser Anschauung muss man zur Erfahrung des Nirwana alle Fesseln an Samsara, an die Welt der bedingten Existenz, abschneiden. Daher zielen diese Meditationen auch darauf, alle Ursachen weiterer Wiedergeburten zu vermeiden.

Die Anhänger des Großen Weges sehen darin allerdings nur eine kleine Verwirklichung. Denn sie werten die bloße Erfahrung ungestörten geistigen Friedens lediglich als Zwischenstufe auf dem Weg oder gar als Sackgasse. Mit dem großen Nirwana erstreben sie durch entsprechende Meditationen das Aufblühen aller erleuchteten Eigenschaften. Neben dem friedvollen Gleichmut gehören dazu auch Freude, Liebe und Mitgefühl als unbegrenzte und unveränderliche Eigenschaften des Geistes aller fühlenden Wesen. Um diese höchsten Qualitäten zu verwirklichen (siehe Buddhanatur), öffnen sie sich für alle fühlenden Wesen im Kreislauf der Existenz (Samsara). Mit dem sogenannten Bodhisattva-Versprechen ist der Wunsch verbunden, solange eine Wiedergeburt anzunehmen, bis alle Wesen vom Leid befreit sind.

Die Anhänger des Diamantweg-Buddhismus schließlich konzentrieren sich in ihren Meditationen auf den Buddhazustand als Spiegel für ihr eigenes Wesen. Die Identifikation mit seinen erleuchteten Eigenschaften gibt ihnen die Kraft, im besten Fall in einer Lebenszeit, alle Stadien des Weges zur Befreiung und Erleuchtung zu bewältigen. So sind sie bestrebt, in der Phase der Nach-Meditation, also im Alltagsleben, ebenfalls in allen Wesen das Buddha-Potenzial zu entdecken. Aus der höchsten philosophischen Sicht erklärte Buddha Shakyamuni nämlich die untrennbare Einheit von Samsara und Nirwana. 

Wird der unveränderliche Wahrheitszustand des Geistes als grenzenlose Offenheit erkannt, wandelt sich sein Erlebnis in die freudvolle Erfahrung seines freien Spiels, und dieselbe Welt, die jetzt erlebt wird, erscheint als zutiefst sinnvolle Erfahrung eines „Reinen Landes“. Was hat das mit Samsara und Nirwana direkt zu tun?

Sowohl Großer Weg als auch Diamantweg beschreiben das kleine Nirwana als einen freudvollen Zustand. Und die Anhänger des Theravada? Völliger Frieden oder frei von Leid kann ähnliches bedeuten (s.o.). Nach der Überwindung der geistigen Schleier der Störgefühle ist es möglich, auch die tief sitzende Gewohnheit der Ich-Illusion aufzulösen. Sie ist die Wurzel für alle Leiden im Samsara. Erst nach dieser Erfahrung besitzt man den Mut und das Vertrauen, alle vorgefassten Meinungen und weiteren begrifflichen Schleier des Geistes zu überwinden. Nachdem gefühlsmäßige und begriffliche Schleier durch Meditationstraining entfernt wurden, offenbart sich die Weisheit eines Buddhas als zeitloses Wesen des Geistes ohne Anfang oder Ende, ohne Mitte oder Grenze. In diesem großen und unübertrefflichen Nirwana zeigt der Geist seine volle Kraft im spontanen Ausdruck seiner erleuchteten Aktivität.